Eigenständiges Denken,entschiedenes Handeln


Grundlage des Wirkens von August Bier: seine selbstbewusste und unabhängige Persönlichkeit. Sein Blick führte weit über den fachlich etablierten Horizont hinaus. Und stand damit oftmals im Gegensatz zu den Auffassungen seiner Zeit. Dies zeigt sich bereits in seiner medizinischen Laufbahn. Ganz deutlich dann in seiner forstwissenschaftlichen Tätigkeit. Von ihm selbst als „Experiment“ bezeichnet, war diese diametral zur gängigen Forstwissenschaft. Basal bedeutend für sein Denken und Handeln war die antike Naturphilosophie. Deren Auffassungen machte er fruchtbar für Medizin und Forstwissenschaft. Und legte sie in seinen Büchern dar.

„Ein Professor ist ein Herr, der anderer Ansicht ist.“


Zitat August Bier

Geschätzter Chirurg,bedeutender Erneuerer


August Bier wurde am 24.11.1861 in Helsen (Waldeck) geboren. Er begann seine medizinische Laufbahn 1888 als Chirurg in Kiel. Hier wurde er promoviert, habilitiert und zum Professor ernannt. Es folgten Berufungen nach Greifswald (1899), Bonn (1903) und Berlin (1907−1932). Er war einer der bedeutenden Chirurgen seiner Zeit und 40-mal für den Nobelpreis nominiert. Bekannt machte ihn neben mehreren neuen Operations- und Heilverfahren die Erfindung der Spinalanästhesie (Rückenmarksbetäubung) im Selbstversuch sowie die Erfindung des Stahlhelms.

August Bier war zunächst Landarzt in Gettorf (Holstein). Er wendete sich aber bald der Chirurgie zu und arbeitete als Assistent und Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Kiel unter der Leitung von Prof. Friedrich von Esmarck. Bereits hier in Kiel entwickelte er die Grundlagen für seine wesentlichen medizinischen Beiträge: Hyperämie als Heilmittel. 1889 unternahm er im Selbstversuch zusammen mit einem Mitarbeiter den entscheidenden Schritt zur Lumbalanästhesie, einer bis heute häufig praktizierten Anästhesiemethode. In Kiel wurde August Bier 1889 habilitiert und 1894 Extraordinarius.1894 erfolgte seine Berufung nach Greifswald und bereits nach einigen Jahren der Wechsel auf den chirurgischen Lehrstuhl nach Bonn. 1907 erhielt er den Ruf an den – damals wohl renommiertesten – Lehrstuhl für Chirurgie in der Ziegelstraße in Berlin. Hier galt er als begnadeter Chirurg und Hochschullehrer.

Theoretisch Naturphilosoph,praktisch Waldumbauer


August Bier erkannte, dass er Kernprinzipien der Heraklitischen Lehre − Gegensätze fügen sich zur Harmonie − nicht in die Medizin überführen konnte. Somit war es auch unmöglich, diese zu verifizieren. Diese Möglichkeit eröffnete ihm das komplexe biologische System Wald. Hier konnte er aktiv eingreifen: Uneingeschränkt in Pflanzmaßnahmen und der nachfolgenden Pflege mit Axt und Säge walten, wie er wollte. Zum Erfolg seines forstlichen Handelns trug sicherlich bei, dass er bereits als Kind einen engen Bezug zum Wald und der Natur entwickelt hatte und über ein biologisches sowie forstliches Verständnis verfügte.

So erwarb August Bier 1912 als national und international berühmter Chirurg das zwischen Beeskow und Fürstenwalde gelegene Waldgut Sauen. Diesen Besitz vergrößerte er durch Zukauf in den folgenden Jahren auf eine Fläche von ca. 1.000 Hektar. August Bier erfüllte sich hier einen lang gehegten Wunsch und gestaltete den Wald nach seinen philosophischen Vorstellungen und Erfahrungen um. Forstwissenschaftlich unbelastet, wollte er am Beispiel des Waldes die philosophischen Gedanken Heraklit von Ephesos` (*um 520 v. Chr.; † um 460 v. Chr.) überprüfen. Die Verwirklichung des heraklitischen Leitsatzes, wonach alles fließe und sich Gegensätze zu einer Harmonie fügten, sah er in einem „Mischwald, in dem das Nadelholz neben dem Laubholz, der Flachwurzler neben dem Tiefwurzler, der Humuserzeuger neben dem Humusverbraucher steht.

Entsprechend baute er den devastierten und übernutzten Kiefernwald in Sauen in einen artenreichen Mischwald um. Sein Ziel dabei: die kümmerlichen und armen Kiefernbestände in ihrer Gesamtheit zu verbessern. Dieses Experiment erregte bereits in den 30er Jahren die Aufmerksamkeit der deutschen Forstwissenschaft. Diese favorisierte damals noch Kiefern-Reinbestände in fest strukturierten Altersklassen. Der Sauener Wald wurde so zu einem der Leitbilder der Deutschen Forstwirtschaft. Das Ergebnis des Waldumbaus vor Ort zu erleben, ist noch heute eine Freude für alle Naturliebhaber und Forstleute.

Drei Bücher,drei Inspirationsquellen


August Bier betrachtete Gesundheit als das Gleichgewicht zwischen entgegengesetzten Aktionen und Reizen. Krankheit bedeutet folglich ein Ungleichgewicht im Körper, das nur durch eine Ganzheitsbehandlung des Patienten kurierbar ist. So war einer seiner Leitsätze: „Mens sana in corpore sano” (aus einer Satire des römischen Dichters Juvenal; dt.: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) für ihn eine Selbstverständlichkeit. In diesem Sinne setzte er sich mit Leidenschaft für Heilgymnastik und Sport ein. 1920 wurde August Bier Mitbegründer und erster Leiter der Sporthochschule in Berlin. Seine ganzheitliche Betrachtung der Medizin umfasste – entgegen dem Zeitgeist- auch die Beschäftigung mit der Homöopathie.

Mit zunehmender Erfahrung betrachtete August Bier die unterschiedlichsten Facetten der Medizin immer aus ganzheitlicher Sicht. In diese galt es, gerade zu seiner Zeit, die vielen neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse einzubetten. Seine Synopsis und fachübergreifende Sicht der Medizin stand der zunehmenden Spezialisierung der Medizin und auch der Chirurgie in einzelne Fachbereiche diametral gegenüber.

August Bier fasste seine auf die antike Naturphilosophie zurückgehenden Gedanken in seinem Buch „Die Seele“ (1939) zusammen. Dieses Werk erscheint bis heute in zahlreichen Auflagen und hat auch außerhalb von medizinischen und forstlichen Fachkreisen viele Leser gefunden. Posthum, editiert von seinem Schüler Vogler, erschien 1949 sein Buch „Das Leben“. Dem sollte als drittes Werk „Der Wald“ folgen, das jedoch fragmentarisch geblieben ist. Die darin enthaltenen Gedanken wurden in dem Buch „Der Sauener Wald“ (1986) von Herbert Krauss aufgegriffen und ergänzt.